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tundrarabbit 12.08.2016

Wieder mal fast bis ans Ende der Welt und zurück...

Wegstrecke 7256 km
Länder/Regionen/
Wegpunkte
Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Polarkreis, Norwegen, Eismeer Schweden, Dänemark
Straßenart Landstraße, Autobahn
Tour-Motorrad SUZUKI XF 650 FREEW...
Schwierigkeit leicht
Schlagworte Lappland


Wieder mal fast bis ans Ende der Welt und zurück...

Manch einer mag es für langweilig halten, immer wieder den hohen Norden als Ziel zu haben. Bei den meisten verbindet sich diese Vorstellung mit Kälte, Regen und Mücken. Gewiss, alles dreies kann nie ausgeschlossen werden, und trotz sorgfältiger Beobachtung der Wetterprognosen für die nächsten zwei Wochen bleibt es immer ein Glücksspiel, weil die Wettervorhersage für mehr als drei Tage unseriös ist und oft genug nicht mal die für den nächsten Tag stimmt. Und so eine Supertour wie 2014 werde ich so schnell nicht wieder erleben. Trotzdem, es zieht mich immer wieder hin. Letztes Jahr ersatzlos ausgefallen, weil im Juli nördlich vom 60. Breitengrad konstantes Mistwetter mit Regen und Temperaturen zwischen 11 und 17 °C waren, während hier tropische 39 Grad herrschten. Ich wäre ein Narr, tauschte ich 39 Grad und Sonnenschein gegen 15 Grad und Regen ein.
Aber, keine Reise gleicht der anderen, und für die, die es interessiert, weil sie selbst den Norden kennen und lieben oder weil sie noch einen Anschubser brauchen, hier die Tour 2016 in Kurzfassung. Und dieses Mal gibt es auch ein paar Bilder dazu.
Vorab zum besseren Verständnis der Ortsangaben, die sich häufig an geographischen Gegebenheiten orientieren und deren Endungen immer wieder auftauchen:
Im Estnischen: -jögi = Fluss
Im Finnischen: -joki = Fluss; -järvi = See; -niemi = Halbinsel, kleiner Werder; -kylä = Dorf
Im Schwedischen: -älv, -älven = Fluss; -sjö, - sjön = See; - bro = Brücke
Im Norwegischen: -elv, -elva = Fluss in der männlichen bzw. weiblichen Form; -bru = Brücke; -sjö = See;

Dienstag, 5. Juli
Bis gestern habe ich überlegt, ob ich über Schweden oder das Baltikum starte. Am Ende geht es nun heute Morgen gegen halb fünf los, nach Osten. Mein Ziel ist Lodz, wo ich Bekannte vom letzten Urlaub besuchen möchte. Da die Strecke über die A 2, den Berliner Ring und anschließend die A 12 nach Frankfurt/ Oder alles andere als attraktiv ist und nur der schnellen Bewegung dient, gibt es nichts zu berichten. Das Wetter ist fahrtauglich, freundlich und nicht zu warm. Östlich von Frankfurt endet die mautfreie Strecke der verlängerten A 12 auf polnischer Seite und ich nehme Kurs über Posen auf die Großstadt Lodz, welche ich am späten Nachmittag erreiche. Inzwischen hat ein leichter Regen eingesetzt, der zum Glück nicht von Dauer ist, aber einen Vorgeschmack auf das Tief gibt. Nach einiger Kurverei bin ich nach heute etwa 660 km am Ziel.
Ich habe vor, einen Tag zu bleiben, bevor es dann am Donnerstag wieder in die Spur geht. Der Mittwoch ist total verregnet und ich bin dankbar für die freundliche Aufnahme. Leider lässt sich so auch nichts unternehmen.

Donnerstag, 7. Juli
Morgens halb sechs sitze ich auf meiner treuen Freewind und sehe zu, dass ich vor dem einsetzenden Berufsverkehr aus Lodz in Richtung Warschau komme. Es ist unangenehm kalt und vor Warschau muss ich bereits in die Regenkombi springen. Dämlich wie ich bin, fahre ich auch noch in Richtung Zentrum, statt auf der N 8 zu bleiben und um Warschau herum Kurs auf Bialystok zu nehmen. Regen und rote Ampeln nerven, nach einer halben Stunde zeigt sich zum Glück ein Hinweis auf Bialystok, nichts wie weg hier. Die nächsten 70 km eine endlose Baustelle. Einspurig, Tempolimit zwischen 50 und 70. Endlich der Abzweig nach Lomza, ab jetzt Kurs Nord! In Suwalki, knapp 40 km vor der Grenze, habe ich das Tief weitgehend hinter mir und rolle zum zweiten Mal heute die Regenkombi zusammen. Ich liege gut in der Zeit, weil bei dem Wetter an eine Badepause nicht zu denken ist. Eine dreiviertel Stunde später bin ich Litauen. Der Wind bläst seit Lomza unangenehm aus West bis Nordwest, Stärke 4-5, schätze ich, und wackelt mich kräftig durch. Das macht sich auch am Verbrauch deutlich bemerkbar, meine Reichweite bis zum nächsten Tanken liegt weit niedriger als unter optimalen Bedingungen, Gesetz des Ausgleichs, Spritpreis runter, Verbrauch rauf. Oder mathematisch ausgedrückt: die Summe des Elends ist konstant.
Am 55. Breitengrad, bei Kauen, dem heutigen litauischen Kaunas, quere ich die Memel. Die Via Baltica verläuft fast schnurgerade nach Norden bis Tallinn, Dörfer werden so gut wie nie berührt. Ich habe auch keinen Grund zum Trödeln, denn Badewetter ist nach wie vor nicht in Sicht. Ich bin froh, dass ein Schauer aus einer einzigen dunklen Wolke über mir nur 10 min anhält, dann bleibt es mit Ausnahme noch so eines Schauers bei Kuopio aber für die nächsten rund 3500 km von oben trocken. Schon gegen acht Uhr abends liegt Litauen hinter mir. Wolkenloser Himmel, die tiefstehende Sonne im Westen nimmt ihre Bahn nach Nordwest, als ich Lettland erreiche und eine Stunde später auf dem Damm des Stausees der Düna die Umgehungsstraße von Riga unter die Räder nehme. Die 40 km Umweg sind ein Segen, verglichen mit der unmöglichen Verkehrsführung in Riga, die ich mehrere Male erlebt habe, und ich lege keinen Wert darauf, mir eine neue Route zu suchen. Schwer genug war es jedes Mal, sich herauszuwühlen, denn als alter Scout bleibe ich konservativ und mein Navigationsgerät ist der Sonnenstand, der mir je nach Uhrzeit die Richtung hinreichend anzeigt, oder, wenn die Sonne nicht scheint, mein Kompass und mein Instinkt. In Riga gibt es kaum Ausschilderungen über die Richtung der jeweiligen Fahrspur, so dass man ohne Navi 1. oder 2. Generation verzweifeln kann.
Schon gegen zehn bin ich nördlich von Riga, nachdem ich die Gauja gequert habe, an meinem Nachtlager, einem kleinen See neben der Straße im Wald, den ich schon mehrfach als Nachtlager erkoren habe. Leider ist auch dieser Platz inzwischen von einem geschäftstüchtigen Imbiss- und Barbequebetreiber vergewaltigt worden, doch niemand ist zur Stunde da; ich finde Platz für das Zelt. Nachdem alles erledigt ist, brennt ein kleines Feuerchen und ich genieße eine Cola mit Rum sowie hier bei 57°7´ n.B. die erste nicht mehr finstere Nacht in der nautischen Dämmerung seit zwei Jahren.
Etwas über 850 km bin ich heute gefahren; gegen halb drei, als es bereits wieder hell ist, krieche ich ins Zelt.

Freitag, 8. Juli
Schon nach vier Stunden ist es mit dem Schlafen vorbei. Die Sonne brennt auf die Zeltwand, ich muss raus. Nach dem Morgenbad im See erfrischt und sauber, das Gepäck ist bereits verstaut, geht es weiter nordwärts. Ursprünglich hatte ich vor, den Nationalpark der Gauja zu erkunden. Der Fluss ist über 450 km lang, obwohl er nur 70 km entfernt von der Rigaer Bucht entspringt. In einem fast vollen Kreis fließt die Gauja gemächlich durch Lettland und soll ein Paradies für Wasserwanderer, Wanderer und Radfahrer sein. Und genau da ist der Haken, Endurofahrer kommen nicht in den Genuss, sich frei bewegen zu dürfen. Und nur, um von einer Brücke der Hauptstraße aus den Fluss einmal sehen und filmen zu können, ist mir die Zeit zu schade. Also direkter Weg nach Salaca, Frühstück an der Ostsee, dann in Salacgriva ein paar Videoaufnahmen vom Mündungsbereich der breiten Salaca in die Rigaer Bucht. Hinter der Brücke biege ich nach Osten ab, will sehen, ob sich nicht eine Stelle zum Lagern und Baden am Fluss findet, aber Fehlmeldung. Jeder Stichweg endet auf einem Gehöft. Nach 3 km etwa kommt eine Brücke; aus dem breiten Mündungstrichter ist ein bescheidenes Flüsschen geworden, was sanft durch sein Tal mäandert. Ich weiß genug und fahre zur Hauptstraße zurück, nur noch 25 km bis Estland. Dieses Mal ohne Stopp an der Ostsee halte ich erst in Tallinn, um mich um ein Ticket für die Tallinkline zu kümmern. D-Terminal, hoch zum Schalter und für Sonnabend früh halb acht die Fähre nach Helsinki.
Hier am Schalter treffe ich auf Eyyup, einem türkischen Motorradfahrer aus Ankara, der zum Nordkapp will und heute noch die Überfahrt mit der Nachtfähre im Auge hat. Während wir warten, bis ich an der Reihe bin, rede ich ihm die Nachtfähre aus. Erstens erheblich teurer als morgen früh und zweitens kommt er nachts halb eins in Helsinki an, wenn es dämmrig ist. Ehe er sich die 150 km Richtung Lahti auf der Autobahn nach Norden bemüht hat und etwas zum Schlafen findet, ist es früh um 4 und nicht übermäßig warm. Hier muss ich erwähnen, dass der Eyyup unterwegs ist, wie ein Dorffriseur: in Jeans und einem dünnen Lederjäckchen ist er auf dem Weg zum Subpolargebiet, wo man zwischen -2 und +30 Grad mit allem rechnen muss, was das Wetter bieten kann. Für Regen und Kälte, meint er, habe er noch eine etwas dickere Regenkombi… Ich fass´ es nicht. Aber ich überzeuge ihn, doch mit mir zum Jägala-Wasserfall, 25 km östlich von Tallinn, zu fahren. Den möchte ich mir ansehen und dort schlafen.
Kurz und gut, gegen 10 sind wir am Wasserfall, leider hat der Jägalajögi zur Sommerzeit keine große Wasserführung; nur ein paar m³/s rauschen am linken Ufer über die Felskante und stürzen 8 m in die Tiefe. 2/3 bis ¾ der gesamten Breite liegen derzeit trocken. Trotzdem ist der Wasserfall, immerhin der größte in Estland, gut besucht, und bietet im Frühjahr oder nach Starkregen sicher ein beeindruckendes Bild, wenn auch keineswegs vergleichbar mit den Fällen der Plitvicer Seen oder der Krka-Fälle in Kroatien.
Wir sammeln/ schlagen Holz für ein Lagerfeuer und genießen neben dem Wasserfall bis nach Mitternacht die Natur und genehmigen uns eine Cola mit Whiskey. War ein kurzer Fahrtag heute, nur 350 km. Morgen will mich Eyyup für einen Tag begleiten, dann wird er entscheiden, ob er sich weiter in mein Kielwasser hängt, oder allein weiterfährt. Er verbringt die Nacht im Zelt, ich schlafe gleich im Freien, zu wenige Mücken, die Mühe lohnt nicht, bequemer kann ich es nicht haben. Da wir nun mittlerweile eine Breite von 59°27´ Nord erreicht haben, tritt nur noch eine leichte Dämmerung zwischen 1 und 3 Uhr ein, doch da liegen wir schon im Schlaf.

Sonnabend, 9. Juli
Ich hatte den Lagerplatz mit Bedacht so gewählt, dass die Sonne nach ihrem Aufgang über dem Wasserfall scheint und die Strahlen auf den Schlafsack fallen. Das hätte auch funktioniert, wäre nicht in dieser Nacht Nebel aufgezogen, dick wie im November. Das Aufstehen haben wir für halb sechs geplant, damit wir rechtzeitig an der Fähre sind. Als ich den Kopf aus dem Schlafsack schiebe, bin ich wegen des Nebels schon bedient. Die Sonne scheint schwach milchig hindurch, genau da, wo ich sie erwartet habe, aber der Nebel ist nass. Kurz nach 6 starten wir, der Nebel hält sich zäh bis Tallinn und erlaubt keine hohen Geschwindigkeiten. Wir erreichen die Innenstadt und die Sicht wird klar. Ein letztes Mal günstig tanken und ab zum D-Terminal. Die Fähre legt bereits 10 min früher ab. Unterwegs hole ich noch etwas Schlaf nach, pünktlich legt die Fähre in Helsinki an. Strahlend blauer Himmel mit ein paar Schönwetterwolken empfängt uns. Wir müssen vom Hafen der Ausschilderung nach Lahti folgen und erreichen 20 min später die Autobahn. Eyyup hat mit meinem Reisetempo wie erwartet seine Probleme. Deshalb schlägt er nach einigen Kilometern vor, auf der Nationalstraße weiter zu fahren. Ich habe nichts dagegen einzuwenden. Inzwischen ist es warm genug, um sich etwas luftiger anzuziehen. Doch die Freude darüber ist kurz; schon im Raum Heinola trübt es sich wieder ein und der Wind kommt wieder aus West bis Südwest mit 4-5 bfr daher. Bei Hartola will ich ein Morgenbad im See nehmen, aber der heftige Wind, der kalt über den See bläst, raubt mir jede Lust dazu. Im Gegenteil, während des Frühstücks zünden wir ein Feuer an, aber der Wind nimmt der Flamme des Feuerzeuges die Kraft und die Birkenrinde fängt kein Feuer. Ich opfere einen Schluck Benzin, dann genießen wir die Wärme des Feuers. Wärmer anziehen tut not. Ich kann über Eyyup nur den Kopf schütteln, bei dem Wetter in Unterhose und Jeans. Ich habe zwei Unterhosen und eine Jogginghose unter der Lederhose und schwitze nicht im geringsten. Nur hatte ich keine Lust, noch die dicke Endurohose mitzunehmen und muss mich damit zufrieden geben. Eine Stunde später geht es weiter. Auffällig für Finnland ist, dass die Mehrzahl der Zweiradfahrer auf lärmenden Choppern unterwegs sind, einer gar, als wir nach Kangasniemi abbiegen, um den Bogen bei Jyvaskylä abzuschneiden, mit einem Hakenkreuz am Tank. Kroppzeug. Auf dem Weg nach Kangasniemi, nun schon auf 62° n.B., tröpfelt es etwas, bedarf aber keiner Regenkleidung. Kurze Pause am See in Kangasniemi; hinter einem Verbau gibt eine Rockband ein Konzert mit Beatlesoldies, Eyyup sitzt auf seiner Crosstourer, um ein wenig zu schlafen, und ich löffle ein Vanilleeis in mich rein. Weiter geht es Kurs Nord, Suonenjoki, zurück auf die E 75 nach Kuopio. In Kuopio der bereits erwähnte kurze, aber heftige Schauer, dann ist wieder Ruhe, nur der Wind hält an. Kurze Zeit später, beim Einkauf und Kettenpflege in Iisalmi, macht die Suzi Zicken. Will nicht anspringen. Ein Verhalten, als ob sie ersoffen wäre, wofür es keinen Grund gibt. Endlich brummt der Motor, doch 500 m später geht sie im 2. Gang mitten auf der Kreuzung einfach aus und wieder leiert der Anlasser, bis sie wieder kommt. Nun mache ich mir doch Sorgen, weil ich daraus nicht schlau werde. Hat sie noch nie gemacht, kam immer mit dem ersten Kolbenschlag. Eyyup äußert die Vermutung, vielleicht könnte die Batterie müde geworden sein, das viele Starten und die Fahrt unter Volllast mit Licht und Heizung. Da mir nichts Besseres einfällt, klammere ich mich an diesen Strohhalm und schalte das Abblendlicht aus, um etwas mehr Ladestrom übrig zu behalten. Eyyup beginnt zu frieren und ist müde. Doch ich kenne mich hier aus und weiß, dass wir erst am Seitenjärvi in etwa 100 km einen gescheiten Lagerplatz am See mit Feuerholz finden, wollen wir nicht ewig die Nebenwege absuchen. Gegen zehn zeigt das erste Hinweisschild „Rentierzuchtgebiet“ an, dass Lappland erreicht ist. Wenig später begrüßt uns auch schon wie auf Bestellung das erste Rentier, eine Kuh. Die Rentiere sind die einzige Hirschart, wo beide Geschlechter, selbst die Jungtiere, Geweihe tragen. Allerdings sind die der Bullen mit 12 und mehr Enden weitaus imposanter als die jämmerlichen Stangen der weiblichen Tiere. Wenig später ist der Seitenjärvi, ein Stausee auf 64,5° n.B., erreicht. Weitere 660 km Fahrt liegen hinter mir. Wir fahren vom Rastplatz den Weg ins Wäldchen auf dem kleinen Werder, finnisch auch Niemi genannt, bauen die Zelte auf und zünden am See ein Lagerfeuer an. Eyyup liegt bereits um 12 im Zelt, ich bleibe bis zwei und genieße die erste helle Nacht am Feuer. Wegen der dicken Wolken ist vom mitternächtlichen Farbspiel am nördlichen Horizont heute zu meinem Bedauern nicht viel zu sehen. Eine leichte Färbung zeigt sich zuweilen, aber wenigstens ist es trocken, konnte schlimmer kommen.

Sonntag, 10. Juli
Um acht ist Eyyup schon fast mit packen fertig, er wird allein weiterreisen. Doch vorher lässt er mich die Suzi probestarten, falls ich Hilfe brauche, wenn sie nicht anspringt. Etwas widerwillig dreht der Anlasser, doch dann kommt sie. Ersoffen war sie nicht, das hätte ich gerochen und spätestens jetzt an der ausbleibenden blauen Wolke gesehen. Noch ein Tee zum Frühstück, dann verabschieden wir uns, vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder. Eine halbe Stunde später, nachdem mein Zelt verpackt und die Gepäckrolle unter den Expanderzügen liegt, rolle auch ich in einen neuen Reisetag. Baden fällt vorerst aus, der kalte Wind…
Zur Sicherheit habe ich das Starthilfekabel griffbereit vom Topcase in den Seitenkoffer verfrachtet, doch zu meiner Beruhigung macht die Suzi keine Sperenzien mehr. Vielleicht hat tatsächlich der Ladestrom gefehlt, keine Ahnung, jedenfalls tritt das Problem den Rest der Fahrt die nächsten 4500 km nicht mehr auf. Und – welche Freude, bei Kuusamo, am 66. Breitengrad, 100 km Fahrstrecke vor dem Polarkreis, lässt der Wind nach und die Wolkendecke reißt auf. Der Polarkreis begrüßt mich auf exakt 66°33´ n.B. nach etwa 2700 km Fahrt mit freundlichem, warmem Wetter. Die dicken Sachen verschwinden im Seitenkoffer und der Rolle. Mir ist wohler. Bei Kemijärvi sind nur noch Schönwetterwolken zu sehen. Tanken in Sodankylä, aua, die Finnen langen wieder richtig zu. Ich hätte in Kemijärvi bunkern sollen; nach den freundlichen Preisen in Polen und im Baltikum zwischen 1,03 und 1,10 €/l bin ich jetzt schon wieder bei 1,45 angelangt, und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Abends halb neun erreiche ich nördlich von Sodankylä einen Stausee des Yläpostojoki, einem Nebenfluss des Kitinen, bei 67°44´ Nord. Die Sonne scheint, kein Wind, die beste Gelegenheit für das ersehnte Bad! Raus aus den Sachen, das Duschbad gegriffen und hinein ins 10 Grad warme Wasser. Eine Erfrischung, endlich wieder sauber, jetzt fühle ich mich wieder wohl. Ich lasse mich von der Luft trocknen, Mücken stören nicht, keine da (!). Dann weiter nach Norden, Ziel Inarisee.
Der Himmel bleibt die nächsten 150 km freundlich, im Nordwesten scheint die Sonne und zieht ihre Bahn nach Norden, die Straße geht fast nur geradeaus durch endlose Wälder, unterbrochen durch gelegentlich kreuzende Flüsschen oder Seen. Kurz vor Ivalo steigt das Gelände soweit an, dass eine Tundrahochebene erreicht wird. Kein Wald mehr, nur vereinzelte Birkenbüsche, die Gatter der Rentierzüchter, Sumpf. So schnell wie bergauf fällt die Straße wieder ab und schon stellt sich die Vegetation wieder um. Das gewohnte Bild aus Kiefern, Tannen, Birken und Pappeln hat mich wieder. Die Straße wird feucht und die Temperatur geht schlagartig merklich zurück. Eine boshafte Wolke hat vor nicht langer Zeit ihre Fracht abgeladen und verzieht sich am nördlichen Horizont kaum merklich nach Osten. Aus der feuchten Straße wird eine nasse und als ich gegen halb 12 nachts den Inarisee erreiche, stehen auf der Temperaturanzeige vom Hotel in Inari 11°. Unangenehm. Ich wollte eigentlich schon mein Lager vor 20 km bezogen haben, doch da stand ein Angler am Ufer - er war zuerst da. Also fahre ich 15 km in Richtung Kittilä nach Südwesten zum Solojärvi, dem für mich schönsten Platz nördlich vom Polarkreis. Nach weiteren 640 km heute erreiche ich um 12 das Südufer des Sees, 68°50´ n.B.. Das Schild „No Camping“ steht nicht mehr da. Dafür zwei Wohnmobile. Ich erkenne das Braunschweiger Kennzeichen, die unmittelbare Nachbarschaft. Das ältere Ehepaar, beide fast 80 Jahre, ist noch wach. Bevor ich das Zelt aufbauen kann, denn wegen der Nässe und wer weiß, ob es trocken bleibt, brauche ich es heute, kocht die Oma mir schon einen Tee zum Aufwärmen, dessen Wirkung durch einen Schuss Rum noch verbessert wird. Im Norden steht das schmale Wolkenband über den Bergen und genau vor der Mitternachtssonne, wie zum Hohn. Und es bewegt sich im selben Tempo, wie die Sonne nach rechts, heißt Osten, wandert. Lagerfeuer fällt heute ersatzlos aus, alles ist klatschnass, da brauche ich es erst gar nicht zu versuchen, obwohl mir gerade jetzt die Wärme guttun würde. Erst gegen zwei bricht die Sonne durch und von einem auf dem nächsten Augenblick wärmen die Strahlen. Ich sitze noch vorm Zelt, Mücken stören nur vereinzelt, und das liegt nicht an der Temperatur. Die Massenvermehrung blieb dieses Jahr bis jetzt aus. Wodan und Donar sei Dank. Trotzdem halte ich es nicht mehr lange aus. Der anstrengende Fahrtag und der permanente Mangel an Schlaf bleiben nicht ohne Folgen. Ich bin müde und muss mich halb drei ins Zelt zurückziehen.

Montag, 11. Juli
Halb zehn erst stehe ich auf, es ist sonnig, fast wolkenlos, doch die Wolkenbildung beginnt schon. Nachbars haben ihr Morgenbad schon weg und unterhalten sich mit der zweiten Wohnmobilbesatzung, einer alleinreisenden Französin aus dem Großraum Toulouse. Allein ist vielleicht nicht korrekt, vier Schäferhunde führt sie im Gefängniswagen mit. Während die beiden Alten nach Grense Jacobselv aufbrechen, packe ich zusammen und nehme mein Morgenbad. Ein paar Grad mehr wären nicht schlecht, aber ich wusste ja vorher, was mich erwartet, ist immerhin fast meine zweite Heimat. Ich will gerade aufsitzen, da kommt die Französin und lädt mich noch auf einen Schwatz beim Kaffee ein. Mut hat sie ja; wollte ursprünglich auch nach Russland rüber, aber die Grenzer haben ihr trotz des Visums die Einreise verwehrt. Angeblich dürfe sie nur zwei Hunde einführen, aber vier hat sie bei sich. Also Einreiseverbot. Sie führt es auf die schlechte Laune der Russen wegen der Krawalle bei der närrischen Fußball-EM in Marseille zurück. Jedenfalls scheinen die Grenzer noch die Schikane zu genießen und durchsuchen das ganze Wohnmobil, in dessen Folge die arme Frau einen halbe Tag brauchte, um wieder alles ordentlich an seinen Platz zu bringen. „Zum Glück“, erklärt sie mir, „fanden sie mein Gras nicht!“ Die hat es ja drauf. Na, mir egal. Nun ist es doch Mittag geworden, bevor ich aufbreche. Ein paar Dankesworte für das nette Gespräch und den Kaffee, ein gegenseitiges „Bon voyage!“ und schon liegt der Solojärvi wieder hinter mir. Ich muss in Inari noch einkaufen und will einen Blick in den Souvenirladen werfen, ob ich nicht eine finnische Flagge für zu Hause, die ich zur schwedischen hängen kann, finde. Alles Bestens. Tanken oder nicht tanken, das ist hier die Frage. 1,50 € der Liter, aber nach nur 70 km seit der letzten Befüllung lohnt sich das nicht.
Nächstes Ziel, Utsjoki an der norwegischen Grenze, etwas über 150 km. Mich hetzt niemand und ich kann mir Zeit nehmen. Mein eigentliches Problem ist mein Tagesziel heute. Berlevag auf der Varanger- oder Mehamn auf der Nordkynnhalbinsel? Die Landschaft ändert langsam ihr Gesicht. Statt endloser Wälder geht die Vegetation immer mehr in Tundra und Sümpfe über. Immer wieder hoppeln Rentiere vor mir her und zwingen mich zur Vorsicht, denn die blöden Viecher sind so unberechenbar wie anmutig und die Kälber putzig.
Utsjoki ist erreicht, 69°54´Nord, noch einmal Einkaufen und Tanken, 1,62 € der Liter. Da waren wir auch schon mal. In Norwegen wird es richtig teuer. Über den Tanaelva, finnisch Tenojoki genannt, führt die Pylonbrücke ins Königreich Norwegen in die Finnmark, seine nördlichste Provinz. Bis Tanabru begleitet mich meistens der Fluss. Dann die Entscheidung, links ab zum Ifjordfjell mit Kurs zur Nordkinnhalbi